• 21.07.2025 | Kognitive-Neurowissenschaften

„So niedlich, da könnte ich reinbeißen!“: Was ist „Cute Aggression“?

Hast Du jemals beim Anblick eines putzigen Kätzchens oder eines süßen Babys das Bedürfnis verspürt, es ganz fest zu drücken oder sogar zu kneifen? In diesem Beitrag erfährst Du mehr über das Phänomen der „Cute Aggression“ und die Wissenschaft, die hinter diesen scheinbar widersprüchlichen Gefühlen steckt.

Stell dir vor, du siehst ein kleines Kätzchen mit großen, runden Augen und flauschigem Fell. Du spürst ein überwältigendes Gefühl von Zuneigung und Glück, und gleichzeitig verspürst du vielleicht den Drang, das Kätzchen fest zu knuddeln oder sogar ein wenig zu kneifen. Kommt dir dieses Gefühl bekannt vor? Dann hast du bereits das Phänomen der „Cute Aggression“ erlebt.

„Cute Aggression“ beschreibt das Verlangen, etwas oder jemanden zu beißen, zu drücken oder zu kneifen, das aufkommt, wenn man auf ein niedliches Objekt oder eine niedliche Person trifft (Stavropoulos & Alba, 2018). Wichtig dabei ist, dass man nicht beabsichtigt, das betroffene Objekt oder die Person zu schädigen oder ihr weh zu tun. Wenn wir uns etwa die kleine Enkelin vorstellen, die von ihrer Oma in die Backen gekniffen wird, oder das süße Hündchen, das vom Besitzer überschwänglich geknuddelt wird, ist klar, dass dieser aggressive Ausdruck des eigenen Glücksgefühls für die „niedlichen Objekte“ vermutlich wenig angenehm ist. Wozu dient dann dieses scheinbar paradoxe Verhalten?

Vereinfacht gesagt, geht man davon aus, dass der Anblick eines niedlichen Objektes ein positives Gefühl hervorruft, das jedoch so stark ausgeprägt ist, dass die betroffene Person es als überwältigend wahrnimmt (Aragón et al., 2015). Um von diesem intensiven Gefühl nicht gänzlich eingenommen zu werden, wird es ausgeglichen, indem eine gegenteilige Emotion – wie Aggression – ausgelöst wird. Cute Aggression fungiert somit als Mechanismus zur Regulation sehr intensiv erlebter positiver Emotionen. Aus evolutionärer Sicht könnte dieses Verhalten dazu beitragen, sehr starke emotionale Reaktionen abzufedern, damit Menschen weiterhin fähig sind, sich etwa um ein Baby zu kümmern. Indem die überwältigende Freude durch eine leichte Form von Aggression ausgeglichen wird, kann die volle Aufmerksamkeit auf die Fürsorge für den Nachwuchs gerichtet werden. Dieses Gleichgewicht hilft uns, in emotional intensiven Momenten handlungsfähig zu bleiben.

Die kalifornischen Psychologinnen Katherine Stavropoulos und Laura Alba (2018) haben die neuronalen Grundlagen der Cute Aggression untersucht und hierzu bei 54 Studienteilnehmenden spezielle Gehirnströme gemessen, während diese Bilder aus vier verschiedenen Kategorien betrachteten: süße Babys, weniger süße Babys1, Tierbabys, erwachsene Tiere. Sahen die Teilnehmenden Bilder von niedlichen Tierbabys im Vergleich zu Bildern von erwachsenen Tieren, wurde ihr Belohnungszentrum sowie Hirnareale, die für emotionale Bedeutsamkeit zuständig sind, außergewöhnlich stark aktiviert. Niedlichkeit wirkt also wie eine Belohnung für das Gehirn und löst starke positive Emotionen aus. Bei menschlichen Babys waren die neuronalen Befunde übrigens weniger eindeutig: Die Forscherinnen führen dies unter anderem darauf zurück, dass sich das Niedlichkeits-Empfinden zwischen den künstlich erstellten „weniger süßen Babys“ und den „süßen Babys“ zu wenig unterschieden hat.

Cute Aggression ist ein Beispiel für den dimorphen („zweiförmigen“) Ausdruck positiver Emotionen (Aragón et al., 2015). Dabei löst ein positiv bewertetes Erlebnis starke positive Emotion aus, die sowohl typische positive Verhaltensweisen als auch solche hervorrufen, die normalerweise mit negativen Emotionen verbunden sind. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn wir beim Happy End eines Films ein Tränchen verdrücken müssen oder wenn Fans beim Anblick ihrer geliebten Stars vor Freude kreischen. Auch hier dient der gleichzeitige Ausdruck der Regulation intensiv erlebter positiver Emotionen. Für Außenstehende ist meist der Kontext entscheidend, um die tatsächliche Situation korrekt als positiv oder negativ einzuschätzen.

Insgesamt ist die Forschung zu Cute Aggression und dem dimorphen Ausdruck positiver Emotionen noch in den Kinderschuhen. Die bisherigen Erkenntnisse sind somit limitiert und ihre Übertragbarkeit begrenzt. Doch gerade diese Unklarheit macht das Thema für zukünftige Forschungen spannend und vielversprechend.

1 Man mag sich fragen, wie Babys denn weniger süß sein können: Die Forscherinnen nutzten Bilder derselben Babys für beide Kategorien, allerdings bearbeiteten sie die typischen Merkmale des Kindchenschemas der Babys. Beispielsweise verkleinerten sie die Bäckchen und Augen der Babys in der „weniger süßen“ Kategorie.

Literaturverzeichnis

Aragón, O. R., Clark, M. S., Dyer, R. L., & Bargh, J. A. (2015). Dimorphous expressions of positive emotion: Displays of both care and aggression in response to cute stimuli. Psychological Science, 26(3), 259–273. https://doi.org/10.1177/0956797614561044

Stavropoulos, K. K. M., & Alba, L. A. (2018). “It’s so cute I could crush it!”: Understanding neural mechanisms of cute aggression. Frontiers in Behavioral Neuroscience, 12, 300. https://doi.org/10.3389/fnbeh.2018.00300

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Krista Mangulsone via unsplash