Unter emotionaler Arbeit versteht man das Unterdrücken oder Verändern eigener Gefühle, um das Wohlbefinden einer anderen Person zu fördern. Aber was hat das mit Sex zu tun?
Was ist emotionale Arbeit und warum wird sie vor allem von Frauen geleistet?
Die Soziologin Arlie Hochschild (1983) prägte den Begriff der emotionalen Arbeit. Sie zeigte, wie Menschen – etwa Flugbegleiter:innen oder Servicepersonal – auch unter Stress oder Frustration freundlich und zugewandt bleiben, indem sie ihre Gefühle gezielt regulieren (z.B., weil sie auf Trinkgeld ökonomisch angewiesen sind). Diese Arbeitsform ist auch in Care-Arbeit und Familienleben allgegenwärtig.
Vor allem Frauen leisten den Großteil emotionaler Arbeit, was auf tief verankerte Geschlechterstereotype zurückzuführen ist (Hochschild, 1983; Zamberlan et al., 2021): Während Männer in westlichen Gesellschaften eher als durchsetzungsfähig und unabhängig gelten, werden Frauen eher als fürsorglich, anpassungsbereit und empathisch wahrgenommen (Eagly & Wood, 2012). Viele nehmen emotionale Arbeit bei Frauen deshalb nicht als zusätzliche Anstrengung wahr – sondern als etwas, das ihnen „natürlich“ liegt.
Studien zeigen: Auch in heterosexuellen Beziehungen tragen Frauen die Hauptlast der emotionalen Arbeit (Umberson et al., 2015). Sie federn Spannungen ab, deeskalieren Konflikte und kümmern sich um das emotionale Wohlbefinden des Partners – oft auf Kosten der eigenen Bedürfnisse. Das Problem: Emotionale Arbeit ist meist unsichtbar und wird daher selten anerkannt oder bewusst aufgeteilt (Dean et al., 2022).
Auch in der Sexualität wirken gesellschaftliche Geschlechterstereotype weiter. Sogenannte geschlechtsspezifische sexuelle Skripte – also verinnerlichte gesellschaftliche Annahmen darüber, wie Frauen und Männer beim Sex fühlen, handeln und sich verhalten sollen – schreiben Frauen häufig eine passive Rolle zu. Sie sollen sich unterordnen, nicht sexuell fordernd sein und darauf achten, begehrenswert zu sein, statt ihr eigenes Begehren in den Vordergrund zu stellen (Sanchez et al., 2012). Unsere Studie zielte darauf ab, diese oft unsichtbare Form der Arbeit im sexuellen Kontext sichtbar zu machen.
Welche Formen der sexuellen emotionalen Arbeit gibt es?
Unsere Studie identifizierte verschiedene Formen sexueller emotionaler Arbeit. Manche Frauen täuschen zum Beispiel einen Orgasmus vor, um ihrem Partner ein gutes Gefühl zu geben oder seine Männlichkeit zu bestätigen. Manche ertragen Schmerzen oder unangenehme Gefühle beim Sex, ohne sie anzusprechen. Andere überwinden sich zu sexuellen Handlungen, obwohl sie keine Lust empfinden, oder machen bei speziellen Praktiken mit, die sie eigentlich nicht mögen. In all diesen Situationen stellen Frauen ihre eigenen Bedürfnisse und ihr Wohlbefinden zurück, um beim Gegenüber – meist dem männlichen Partner – für Harmonie, Bestätigung oder Lust zu sorgen (Oschatz et al., 2025).1
Wie hängt sexuell emotionale Arbeit mit anderen Aspekten zusammen?
Unsere Ergebnisse zeigen deutlich: Je mehr sexuelle emotionale Arbeit Frauen leisten, desto geringer ist ihr sexuelles Vergnügen und ihre Zufriedenheit mit dem eigenen Sexualleben. Auch die Beziehungszufriedenheit scheint zu leiden, wenn Frauen regelmäßig ihre sexuellen Bedürfnisse zurückstellen, um die des Partners zu erfüllen. Zudem berichteten Frauen, die mehr sexuell emotionale Arbeit leisten, von geringerer sexueller Handlungsfähigkeit, also einem reduzierten Gefühl von Einfluss und Kontrolle über die eigene Sexualität. Passend dazu fiel es ihnen schwerer, über sexuelle Wünsche oder Bedürfnisse zu sprechen. Interessanterweise zeigte sich jedoch kein klarer Zusammenhang zwischen sexueller emotionaler Arbeit und der Verinnerlichung traditioneller Geschlechterrollen, also dem Maß, in dem sich Frauen mit gesellschaftlichen Vorstellungen von „typischer Weiblichkeit“ identifizieren. Mit anderen Worten: Frauen, die sich stärker mit traditionellen Geschlechterrollen identifizieren, leisten nicht automatisch mehr oder weniger sexuelle emotionale Arbeit als andere. Umgekehrt weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass auch Frauen, die traditionelle Geschlechterrollen ablehnen, emotionale Arbeit im sexuellen Kontext leisten (Oschatz et al., 2025). Das steht im Kontrast zu Befunden aus anderen Lebensbereichen wie dem Haushalt, in denen Frauen, die traditionelle Geschlechterrollen ablehnen, auch tatsächlich weniger Hausarbeit oder emotionale Arbeit in der Kindererziehung übernehmen (Fetterolf & Rudman, 2014). Sexuelle emotionale Arbeit hingegen scheint daher häufig besonders stark internalisiert, weitgehend unsichtbar und nahezu automatisch abzulaufen und bleibt daher oft unbemerkt.
Fazit
Emotionale Arbeit ist eine Form von Arbeit, die insbesondere Frauen benachteiligt – auch im Bett. Sie kann dabei negativ auf das sexuelle Erleben von Frauen wirken. Es sollte nicht als normal gelten, dass Frauen Schmerzen aushalten, Orgasmen vortäuschen oder Sex haben, obwohl sie keine Lust empfinden, nur um ihren Partnern einen Gefallen zu tun. Um das zu verändern, müssen wir darüber sprechen. Indem wir Sichtbarkeit schaffen und Bewusstsein für das Thema fördern, können wir dazu beitragen, die unausgesprochenen Regeln unserer sexuellen Intimität zu hinterfragen und zu verändern.
1 Auch Männer können sexuelle emotionale Arbeit leisten. Studien zeigen etwa, dass Männer zwar seltener, aber gelegentlich Orgasmen vortäuschen, oder ihr sexuelles Verlangen herunter regulieren, um die Partnerin nicht unter Druck zu setzen. In unserer Forschung haben wir uns jedoch bewusst auf Frauen konzentriert. Der Grund: Bestehende Studien deuten darauf hin, dass Frauen deutlich häufiger und intensiver von sexueller emotionaler Arbeit betroffen sind – und die damit verbundenen Belastungen für sie entsprechend größer ausfallen.
Literaturverzeichnis
Dean, L., Churchill, B., & Ruppanner, L. (2022). The mental load: Building a deeper theoretical understanding of how cognitive and emotional labor over women and mothers. Community, Work & Family, 25(1), 13–29. https://doi.org/10.1080/13668803.2021.2002813
Eagly, A. H., & Wood, W. (2012). Social role theory. In P. A M. van Lange, A. W. Kruglanski, & E. T. Higgins (Eds.), Handbook of theories of social psychology (Vol. 2, pp. 458–476). Sage Publications. https://doi.org/10.4135/9781446249222.n49
Fetterolf, J. C., & Rudman, L. A. (2014). Gender inequality in the home: The role of relative income, support for traditional gender roles, and perceived entitlement. Gender Issues, 31(3), 219-237. https://doi.org/10.1007/s12147-014-9126-x
Hochschild, A. R. (1983). The managed heart: Commercialization of human feeling. University of California Press.
Oschatz, T., Piemonte, J. L., & Klein, V. (2025). The intimate and sexual costs of emotional labor: The development of the women’s sexual emotional labor assessment. Archives of Sexual Behavior, 54(1), 117–138. https://doi.org/10.1007/s10508-024-03061-7
Sanchez, D. T., Fetterolf, J. C., & Rudman, L. A. (2012). Eroticizing inequality in the United States: The consequences and determinants of traditional gender role adherence in intimate relationships. Journal of Sex Research, 49(2–3), 168–183. https://doi.org/10.1080/00224499.2011.653699
Umberson, D., Thomeer, M. B., & Lodge, A. C. (2015). Intimacy and emotion work in lesbian, gay, and heterosexual relationships. Journal of Marriage and Family, 77(2), 542–556. https://doi.org/10.1111/jomf.12178
Zamberlan, A., Gioachin, F., & Gritti, D. (2021). Work less, help out more? The persistence of gender inequality in housework and childcare during UK COVID-19. Research in Social Stratification and Mobility, 73, 100583. https://doi.org/10.1016/j.rssm.2021.100583
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anait via unsplash